Vom Traum zur Realität: Was nach dem gewonnenen Probespiel wirklich zählt mit Gudrun Hinze

In unserer letzten Podcast-Folge von Penthesilea On Air hatte ich das große Vergnügen, mit meiner geschätzten Kollegin, Mitgründerin der Penthesilea Academy und langjährigen Solopiccolistin des Gewandhausorchesters Leipzig, Gudrun Hinze, über einen entscheidenden, aber oft unterschätzten Abschnitt im Leben junger Musikerinnen und Musiker zu sprechen: die Zeit nach dem gewonnenen Probespiel. Gudruns Perspektiven, geprägt durch über drei Jahrzehnte Erfahrung auf und hinter der Bühne sowie ihre Tätigkeit als Mentorin, waren nicht nur aufschlussreich – sie waren ein Weckruf. Deshalb möchte ich in diesem Beitrag einige der wichtigsten Impulse aus unserem Gespräch mit euch teilen.

Viele junge Musikerinnen und Musiker tragen eine romantische Vorstellung vom Orchesterleben in sich. Doch der Einstieg in ein professionelles Ensemble kann mit einem harten Realitätstest einhergehen. Gudrun berichtete offen von ihrer ersten Orchesterstelle vor über 35 Jahren und davon, wie sie als junge Frau in einer männlich dominierten, deutlich älteren Besetzung ankam. Zwischen den Generationen können Reibungen entstehen, und das soziale Gefüge verlangt ein feines Gespür. Besonders eindrücklich war ihre Schilderung ihrer ersten, nicht bestandenen Probezeit. Sie machte deutlich, dass in dieser sensiblen Phase nicht nur musikalische, sondern auch menschliche Aspekte entscheidend sind. Konkurrenz, unterschwelliger Neid und Unsicherheiten innerhalb des Orchesters können die eigene Position erschweren. Ihre Erfahrung zeigt: Wer diese Zeit überstehen will, braucht nicht nur technische Exzellenz, sondern emotionale Standfestigkeit.

Ein zentraler Ratschlag von Gudrun an ihr jüngeres Ich war, nicht nach der Anerkennung aller zu streben. Sich selbst treu zu bleiben, gesunde Grenzen zu ziehen und innere Stabilität aufzubauen – das ist essenziell für ein nachhaltiges künstlerisches Leben. Besonders spannend war für mich ihre Sicht auf die bestehenden Hierarchien im Orchester. Statt diese als Einschränkung zu sehen, begreift sie sie als Chance: zur Orientierung, zum Lernen von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, zum Wachsen. Sie verglich die Struktur des Orchesters mit der einer Familie – ein inspirierendes Bild, das mir und sicherlich auch vielen Hörerinnen und Hörern neue Perspektiven eröffnet hat.

Ein faszinierender Aspekt unseres Gesprächs war Gudruns Beschreibung der sogenannten „Radiance“ – jener besonderen Ausstrahlung, die Musikerinnen und Musiker bereits beim Betreten eines Raumes mitbringen. Noch bevor der erste Ton erklingt, entsteht ein Eindruck, eine energetische Präsenz, die sich oft im Klang widerspiegelt und mitentscheidet, ob jemand ins Ensemble passt. Besonders ermutigend empfand ich Gudruns Umgang mit dem Thema Ablehnung. Sie sieht sie nicht als persönliches Scheitern, sondern als Hinweis darauf, dass der eingeschlagene Weg vielleicht nicht der richtige war – oder noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Aus jeder Absage, so sagt sie, lässt sich eine wertvolle Lektion ziehen. Erfolg bedeutet manchmal auch, etwas loszulassen.

Ein weiterer kluger Hinweis von ihr betraf das Thema Freundschaften innerhalb des Orchesters. Echte Nähe sollte nicht strategisch aufgebaut werden – gerade in der Probezeit geht es um Authentizität und nicht um Beliebtheit. Gudrun rät besonders jungen Musikerinnen dazu, sich der Wirkung ihres eigenen sozialen Verhaltens bewusst zu sein und klare Grenzen zu ziehen. Auch die Vorbereitung auf das Berufsleben sollte nicht ausschließlich auf das Musizieren beschränkt bleiben. Neben technischer Perfektion ist es hilfreich, sich intensiv mit dem Orchester selbst auseinanderzusetzen: mit seiner Geschichte, seinen klanglichen Besonderheiten, aktuellen Projekten. Wer sich Videos von Auftritten ansieht und auf nonverbale Kommunikation achtet, gewinnt wertvolle Einblicke in die Arbeitsweise und das Miteinander des Ensembles. Ebenso wichtig sind Kommunikationsfähigkeiten und ein grundlegendes Verständnis für kulturelle Unterschiede innerhalb eines internationalen Orchesters.

Ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt, ist der Erhalt der eigenen Liebe zur Musik im oftmals fordernden Orchesteralltag. Gudrun sprach darüber, wie wichtig es ist, sich Orte der Stille und des Rückzugs zu schaffen – Räume, in denen die ursprüngliche Sehnsucht nach Musik neu aufleben kann. Für sie bleibt das Orchester zwar das emotionale Zentrum ihres musikalischen Lebens, doch sie weiß auch, dass man sich gelegentlich entfernen muss, um wieder bei sich selbst ankommen zu können. In diesem Zusammenhang diskutierten wir auch die Balance zwischen Anpassung und dem Erhalt der eigenen künstlerischen Identität. Gudrun verglich die Rolle des Orchestermusikers mit der eines Schauspielers: Man gibt sich ganz der Musik eines anderen hin, verliert dabei aber nicht sich selbst. Zu Hause, so ihr Rat, sollte man Stücke spielen, die einen tiefen persönlichen Bezug zum Instrument stärken.

Dieses Gespräch mit Gudrun war für mich nicht nur informativ, sondern zutiefst inspirierend. Der Weg vom gewonnenen Probespiel zu einem erfüllten Berufsleben im Orchester ist kein Ziel, sondern ein Prozess – einer, der Zeit, Reflexion und vor allem Menschlichkeit erfordert. Ich bin sicher, dass Gudruns Erfahrungen euch auf eurem eigenen Weg begleiten und stärken. Wenn ihr Interesse habt, mit Gudrun zu arbeiten und Teil unserer Community zu werden: Die Türen der Penthesilea Academy stehen euch offen. Wir freuen uns auf euch.

🎧 Die komplette Folge kannst du hier anhören:

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