„Playing Big“: Innere Weisheit, Berufung und der Umgang mit Kritik in der Klassikwelt mit Tara Mohr
In einer weiteren Folge von Penthesilea on air Podcast hat sich für mich persönlich ein Traum erfüllt - ich durfte mit Tara Mohr sprechen – einer führenden Stimme für Frauen-Leadership und Autorin des Buches „Playing Big: Practical Wisdom for Women Who Want to Speak Up, Create, and Lead“. Dieses Werk hat weltweit Tausende (mich eingeschlossen) dazu inspiriert, mutige Schritte auf dem Weg zu ihrer ganz eigenen Vision von „Playing Big“ zu gehen.
Tara Mohrs Arbeit, vorgestellt u. a. in der New York Times und Harvard Business Review, berührt universelle Themen: die Kraft innerer Weisheit, die Überwindung innerer Blockaden und den Mut, der eigenen Berufung zu folgen. Obwohl das Buch primär für Frauen geschrieben wurde, sind seine Einsichten unbeschreiblich wertvoll für Musiker:innen aller Geschlechter und Altersgruppen – für alle, die ihre Stimme, Kunst und Berufung authentisch leben möchten. Für mich persönlich ist Taras Werk mittlerweile ein zentraler Baustein meiner Coaching-Praxis geworden.
Playing Big in der Klassikwelt
Gerade für klassische Musiker:innen hat das Konzept von „Playing Big“ eine besondere Relevanz – sei es während des Studiums oder in Vorbereitung auf Probespiele. Wenn Menschen als Persönlichkeiten wachsen und sich erlauben, sich mehr Raum auf ihren professionellen und privaten Bühnen einzunehmen, wirkt sich das direkt auf ihre Musik aus. Atem, Körperhaltung und Ausdruckskraft verändern sich – der Klang wird größer, Phrasierungen freier, das Spiel ausdrucksstärker. Taras Ansätze eröffnen so oft ein neues Erleben von Selbstwirksamkeit. Dass sie selbst tief bewegt war zu hören, wie stark sich das innere Erleben auf den äußeren Klang auswirken kann, hat auch mich sehr berührt.
Was ist eine Berufung?
Ein zentrales Thema des Gesprächs war der Begriff der „Berufung“. Tara beschreibt sie als Aufgabe, durch die wir Liebe, Güte oder Licht in die Welt bringen – nicht zwingend bequem, oft herausfordernd. Ihre eigene Berufung war zunächst, Frauenstimmen zu stärken; heute hat sich dieser Fokus noch auf ein Vielfaches ausgeweitet.
Laut Tara haben wir nicht nur eine einzige Berufung, sondern es können sich auch unterschiedliche Berufungen in verschiedenen Lebensphasen zeigen. Wer z. B. nach wiederholten Rückschlägen bei Vorspielen an seinem Weg zweifelt, darf sich fragen: Was ruft mich jetzt? Vielleicht ist es eine Pause, ein völlig neuer Weg oder das Unterrichten? Oft aber zeigen sich Berufungen als hartnäckige Ideen, die auch einmal gegen alle Widerstände verfolgt werden dürfen oder als tiefes Unbehagen angesichts eines Zustands, der sich ändern will. Der Weg dorthin ist selten geradlinig – und genau darin liegt seine Kraft.
Die Innere Mentor:in
Ein kraftvolles Konzept aus Taras Buch ist die Innere Mentor:in. Diese innere Stimme – ruhig, liebevoll und weise – unterscheidet sich deutlich vom lärmenden Alltagsdenken. Sie ähnelt dem „höheren Selbst“ oder dem „Selbst“ im Sinne Carl Jungs. Der Schlüssel ist, regelmäßig in Kontakt mit diesem inneren Wissen zu treten: durch Meditation, Visualisierungen oder einfache Fragen wie: Was würde meine Innere Mentor:in in dieser Situation tun? Mit Übung kann diese Verbindung auch in Momenten der Unsicherheit – etwa auf der Bühne – zugänglich werden.
Die Innere Kritiker:in
Im Gegensatz dazu steht die Innere Kritiker:in – die Stimme der Selbstverurteilung. Obwohl manche glauben, sie motiviere zu Höchstleistungen, zeigt sich das Gegenteil: Sie erzeugt Stress, hemmt Kreativität und raubt Freude. Wer versucht, sich durch Kritik zu motivieren, mag zwar effizient werden – aber nie innovativ oder erfüllter. Die Lösung? Nicht das Verstummen, sondern der bewusste Umgang mit dem Kritiker. In ihrem Buch spricht sie über Wege, wie wir lernen können, ihm nicht mehr automatisch das Steuer zu überlassen.
Kritik und Feedback in der Musik
In der Klassikwelt spielt Feedback eine zentrale Rolle – oft gepaart mit starker Abhängigkeit von äußerer Bestätigung. Tara Mohr erinnert daran: Feedback sagt mehr über die Perspektive der gebenden Person aus als über unseren eigenen Wert. Es spiegelt Vorlieben, Stile oder Kontexte wider – nicht unser essentielles Selbst.
Hilfreiche Fragen lauten: Ist das Feedback nützlich? Von wem kommt es? Was passiert, wenn ich es einbeziehe? Substantielles Feedback erzeugt oft einen inneren Aha-Moment, der einen blinden Fleck beleuchtet. Ziel ist es jedoch, nicht jede Kritik zu internalisieren, sondern nach echter Resonanz damit zu suchen.
Zwei Arten der Angst
Ein faszinierendes Konzept, das Tara vorstellt, sind zwei unterschiedliche Formen der Angst – basierend auf hebräischen Begriffen:
Pachad: die Angst vor dem, was vielleicht passiert. Projizierte Katastrophen. Angst des „Reptiliengehirns“.
Yirah: ein ehrfurchtsvolles, lebendiges Gefühl, das sich ähnlich anfühlt wie Angst, welches uns aber über uns hinauswachsen lässt – wenn wir innerlich oder äußerlich mehr Raum einnehmen.
Vor einem Konzert etwa erleben viele beide Arten gleichzeitig: Pachad („Was, wenn ich scheitere?“) und Yirah („Wie groß ist dieser Moment!“). Pachad dürfen wir beruhigen. Yirah – dürfen wir willkommen heißen.
Abschließende Gedanken
Tara Mohr erinnert daran: „Playing Big“ ist eine Reise des Wachstums und der Selbstentfaltung. Daneben gibt es die ebenso bedeutsame Reise des Sosein-Dürfens, der Fürsorge und des Feierns des gegenwärtigen Momentes.
Ich bin immer noch erfüllt von diesem Gespräch voller wertvoller Einblicke und kann allen Musiker:innen dieses Buch und Taras Arbeit als tiefgreifende Ressource nur immer wieder ans Herz legen.